Hybride und automatisierte Flotten in alpinen Tourismusregionen

Projektdauer: September 2024 bis September 2027

Programm: Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH (FFG)

Kurzbeschreibung

Das Projekt HAF-ALP-TOUR wird von der dringenden Notwendigkeit angetrieben, die Mobilitätsprobleme in den alpinen Regionen Österreichs anzugehen. Die steigenden Verkehrsmengen, Nutzungskonflikte und die Bedrohung durch den Klimawandel erfordern innovative Lösungen, die eine nachhaltige und effiziente Mobilität gewährleisten. Im Mittelpunkt des Projekts stehen hybride und automatisierte Flotten (HAF), die als Schlüssel zur Verbesserung der Mobilität in alpinen Gebieten gelten. Durch die Kombination von automatisierten und nicht-automatisierten Fahrzeugen können flexible und effiziente Lösungen geschaffen werden, die den spezifischen Anforderungen dieser Regionen gerecht werden. Die HAF bieten nicht nur eine hohe Servicequalität und damit Erreichbarkeit, sondern tragen auch zur Verbesserung der Resilienz und Reduzierung der Umweltauswirkungen bei. Weiters kann ein hybrides System besser auf sich wandelnde Umfeldbedingungen aufgrund der Flexibilität reagieren Gerade in alpinen Tourismusregionen sind Voraussetzungen für HAF ideal, aber noch wenig im Forschungsfokus: relativ kleine, finanzstarke Gemeinden im Alpenraum sind in der Lage hochkomplexe Infrastruktur wie Seilbahnen zu bauen, betreiben und zu großen Teilen über Umwegrentabilitäten zu finanzieren. Der Tourismus schafft eine starke, aber volatile Fahrgastnachfrage im Vergleich zu anderen ländlichen Räumen und steht für Offenheit, Neues zu probieren. Außerdem existiert eine Kultur der Kooperation zwischen Gemeinden und Akteur;innen (z.B. Stand Montafon, der Teil des Konsortiums ist).

Das übergeordnete Ziel dieses Projektes ist die Basis für den Anwendungsfall von HAF für in alpinen Tourismusregionen zu schaffen: Ausgehend von einer (1) Anforderungsanalyse für HAF nach zielgruppenspezifischen Nutzer:innen-Anforderungen und sich kurz- und mittelfristig wandelnden Umfeldbedingungen, werden (2) Umsetzung und Betrieb von HAF aufbauend auf bestehende Infrastrukturen und regionalen Kooperationen sowie den Entwicklungsperspektiven für klimaneutrales Mobilitätssystem behandelt. Darüber hinaus werden (3) innovative Geschäftsmodelle anknüpfend an bestehende Angebote in Tourismusregionen entwickelt, um die Markteinführung von HAF zu unterstützen und neue Finanzierungs- und Zusammenarbeitsmöglichkeiten zu erschließen. (4) Strategische Planungs- und Steuerungsansätze dienen dazu, den Rahmen für HAF so zu setzen, dass positive (Umwelt-) Wirkungen zu maximiert und Rebound-Effekte vermeiden werden. (5) Zudem liefern weiterentwickelte Planungsmethoden und -tools – wie Nachfragemodelle für HAF und Tourismusmobilität - die Grundlage für eine evidenz-basierte Planung und Umsetzung von HAF. 

Ein zentraler Bestandteil von HAF-ALP-TOUR ist das Fallstudiendesign mit ko-kreativen Ansätzen in verschiedenen alpinen Regionen Österreichs. Diese Fallstudien werden in den Regionen Montafon als Forerunner sowie vier weiteren als Follower stattfinden. Für Österreich ist es von strategischer Bedeutung, dass die Voraussetzungen für den Einsatz von HAF in alpinen Tourismusregionen geschaffen werden Durch die Entwicklung und Implementierung von maßgeschneiderten Lösungen soll nicht nur die Lebens- sowie der Tourismusqualität vor Ort verbessert, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen gestärkt werden. Darüber hinaus dient das Projekt als Vorbild für andere alpine Regionen weltweit, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, und schafft so bedeutende Marktchancen für den österreichischen Mobilitätssektor. 

Motivation

Der Tourismus hat für Österreich einen herausragenden Stellenwert. Rund 13,1 % des BIP werden direkt und indirekt durch diesen Sektor erwirtschaftet. Der Klimawandel stellt für diesen bedeutenden Wirtschaftszweig jedoch eine enorme Herausforderung dar. Während in der Ökologisierung der Branche Fortschritte erreicht wurden, der Energiebedarf pro Nächtigung ist zwischen 2008 und 2019 um 54 % gesunken, bleibt die Mobilität als Achillesferse. Hier überlagern sich mehrere kritische Entwicklungen:

  • Erreichbarkeit durch Unwetter und Naturkatastrophen gefährdet
    • Das wichtigste Kriterium im internationalen Wettbewerb der Destination ist die Erreichbarkeit. Vor allem in Regionen, wo die Topografie keine oder nur großräumige Alternativrouten zulässt, sind zunehmende Ausfälle der Verkehrsinfrastruktur durch Naturkatastrophen besonders kritisch. 
    • Hinzu kommt ein vermehrtes Unfallgeschehen durch Wettereinflüsse 5 , das durch den Klimawandel weiter zunehmen dürfte.
  • Verkehrsmenge steigt
    • Die Dauer der Nächtigungen nimmt kontinuierlich ab. Waren es in den 1970ern noch 7 Tage, die internationale Gäste an der Destination verbracht haben, sind es heute noch 3,4 Tage.
  • Verkehrsintensität nimmt zu
    • Eine kürzere Wintersaison forciert Verkehrsbelastungen
    • Heißere Sommer führen dazu, dass Personen aus Städten vermehrt spontane Kurzurlaube in höher gelegenen Regionen nachfragen. In Südtirol könnte durch diesen Effekt der Verkehr im Sommer zweimal so hoch wie im Winter sein.
  • Nutzungskonflikte des Tourismusverkehrs und der Verkehrsbedarfe der regionalen Bevölkerung nehmen zu, da auf Grund der Topographie weniger alternative Routen bestehen. Touristische Wege, Güterverkehr der Tourismusbetriebe und der Pendler:innenverkehr überlagern sich.

Obwohl 78 % (Sommer) - 83% der Gäste mit dem Auto anreisen 11 , bleibt ein Urlaub in Österreich die nachhaltigste Form Urlaub zu machen 12 . Im Rahmen des vorliegenden Projektes wird gemeinsam mit fünf bedeutenden alpinen Tourismusregionen Österreichs (Montafon in Vorarlberg, dem Gesäuse in der Steiermark, den beiden Regionen des Salzburger Pongau vorderes Gasteinertal und Region Werfen und dem Kärntner Gailtal, Abb. 1.1.1) nach nachhaltigen und resilienten Lösungen gesucht, die durch hybride und automatisierte Flotten (HAF) entstehen.

Projektziele und Lösungsansätze

Die Herausforderungen des Alpenraums haben die Verkehrswissenschaften in Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien schon in der Vergangenheit zu Höchstleistungen gebracht. Hochalpine Straßen und Gebirgsbahnen, mit spektakulären Verkehrsbauwerken und bemerkenswerte Leistungen für deren Instandhaltung zählen dazu. In ihrer Gesamtheit und den damit verbundenen Umweltfolgen, die durch die teils extremen und unnachsichtigen Eingriffe in fragile Naturräume entstanden sind, wird vieles heute kritisch bewertet.

Heute ist der Alpenraum eine Brennlinse für lokale und globale Versäumnisse im Umwelt- und Klimaschutz: die Temperaturen sind hier bereits im Schnitt um mehr als 2 Grad gestiegen. In den nächsten 100 Jahren werden sich Vegetationszonen 600 km nach Norden und 600 Höhenmeter nach oben verschieben; 45 % der Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht - wodurch die Klimawandelanpassung eine besondere Dringlichkeit bekommt.

In dieser Gemengelage bieten HAF bemerkenswerte Potentiale:

  • Die Angebotsqualität (im Personen- und Güterverkehr) auf der letzten Meile kann verbessert werden, wodurch ein kraftvoller Anreiz für Tourist:innen entsteht, öffentlich in ihre Destination anzureisen.
  • HAF können in etablierte Strukturen integriert werden (z.B. Gäste- oder Liftkarten; Betriebsstätten von Seilbahnen). Die Voraussetzungen hierfür sind teils sogar besser als in urbanen Räumen.
  • Flotten von menschlichen und nichtmenschlichen Fahrer:innen können so gestaltet werden, dass definierte Servicequalitäten unter sich wandelnden Umfeldbedingungen aufrechterhalten werden und zu einer Reduktion wetterbedingten Unfallgeschehens beitragen. 
  • Automatisierung bietet die Chance, dass gefährliche Fahrten ohne Insassen durchgeführt werden, um die Versorgung von Bewohner:innen und Gästen unter heute nicht möglichen Umständen (z.B. Straßensperren bei Lawinen- oder Murengefahr) aufrecht zu erhalten.
  • Gelingt eine Verkehrsverlagerung auf HAF können Nutzungskonflikte abgebaut werden und die regionale Bevölkerung profitiert von neuen klimafreundlichen Angeboten  (z.B. Reduktion THG-Emissionen, Lärm- und Schadstoffbelastungen, Flächeninanspruchnahme durch Infrastruktur)

Ziel des Projektes ist es daher folgende Ergebnisse im Rahmen einer Multi-Level-Stakeholder-Einbindung und eines praxisorientierten Fallstudiendesigns zu untersuchen und in Testplanungen gemeinsam mit lokalen Akteur:innen in alpinen Tourismusregionen umzusetzen.

Aktuelle Studien stellen einen klaren Gender-Gap hinsichtlich einer niedrigen Akzeptanz von automatisiertem Fahren bei Frauen fest. Vor diesem Hintergrund werden spezifischen Mobilitätsmuster, Anforderungen an die Servicequalität von HAF aber auch an die Infrastruktur gezielt im Vorhaben adressiert. Eine gendersensible Auswahl und Anwendung von Methoden sowie ausgewogene Zusammensetzung bei partizipativen Formaten gewährleistet, dass unterschiedliche Perspektiven ausgewogen berücksichtigt werden.

Das übergeordnete Ziel dieses Projektes ist den Diskurs und die Entwicklung von HAF für den Anwendungsfall in alpinen Tourismusregionen zu öffnen. In den vergangen Jahren hat sich das automatisierte Shuttle bzw. die automatisierte ride-hailing-Flotte international als dominantes Bild durchgesetzt. Im gleichen Zug hat sich der Diskurs zu automatisierten Fahrzeugen auf (sub-)urbane Einsatzgebiete ausgeweitet. Dies täuscht darüber hinweg, dass ein automatisiertes Fahrsystem (das unterschiedlichen Fahraufgaben “dynamic driving tasks” (DDT) gewachsen ist) im Prinzip unabhängig vom Fahrzeug (“vehicle system”) sind. Die SAEJ3016 hat diese Differenzierung übernommen und auch in der letzten Überarbeitung beibehalten. Diese Entwicklung ist ein bemerkenswerter Verlust angesichts der völlig unterschiedlichen Anwendungen, die in früheren Entwicklungsschritten angedacht und propagiert wurden. In diesem Projekt werden KI-gestützte Visualisierungsmethoden eingesetzt, um diesem Reduktionismus entgegenzuwirken. Für Regionen deren physische und klimatische Voraussetzungen nicht dem dominanten Bild von automatisierten Shuttles entsprechen, wäre dies ein entscheidender Nachteil.

Zudem garantiert ein durch empirische Experimente fundiertes Nachfragemodell zur Abschätzung von HAF-Flottengrößen und Wirkungen eine hohe Evidenz und Planungssicherheit, so dass die Risiken bei zukünftigen Pilotprojekten von HAF mit vielen Fahrzeugen minimiert werden.

FFG.1