Wachs in Brauchtum und Volkskunst

Wachszieher Karl Hueber

© Vorarlberger Landesbibliothek / Sammlung Benvenuti

Wachs gehört zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit. Schon die alten Ägypter erkannten im Wachs ein Material, das leicht zu bearbeiten und dennoch gegen alle Witterungs- und Alterungsprozesse unverändert haltbar bleibt. Im Altertum vorwiegend als Schreibmaterial verwendet, kam kein Haus ohne Kerzen als Beleuchtung aus und es spielte auch in der Malerei eine bedeutsame Rolle. In der mittelalterlichen Rechtsvorstellung war das Wachs mit allen Zunftordnungen, aber auch mit dem Beginn und Ende des menschlichen Lebens eng verwoben. Außerdem hatte das Wachs im christlichen Kult ein hohes Ansehen und wurde zur Votivgabe schlechthin. Später wurde das Wachs auch in der Medizin sehr bedeutend bis zur Erfindung der Fotografie. Kaum ein Rohstoff, der zur Verwirklichung von Ideen dient, ist aber auch so vergänglich wie das Wachs. In der Zeroplastik, bei Bossierarbeiten wurde und wird von Medailleuren, Graveuren, Bildhauern und vielen Künstlern das Wachs als unerlässliches Grundmaterial zur Verwirklichung ihrer Ideen in großen Mengen benötigt. Was die Technik der Wachsverarbeitung betrifft, so sind die kommerziellen Zunftbetriebe zu nennen. In den alten Zeiten waren die Wachszieher meist auch Lebzelter. In der heutigen Zeit ist neben der kirchlichen Verwendung die Kerze auch als Gestaltungselement im Wohnbereich, in der Gastronomie usw. in Verwendung.

Von der Verwendung in der Liturgie der Kirche nahm die Kerze ihren Weg in das volksfromme Brauchtum. Ursprung waren das Lichtmessopfer und die Lichtmesskerzen. Diese wurden bei Unwettern angezündet. Immer größere Bedeutung wurde der Votivkerze bei den Wallfahrten entgegengebracht, die zum Dank oder der Bitte um Hilfe den Heiligen dargebracht wurden. Solche Votivkerzen wurden von Zünften in Auftrag gegeben und waren reich verziert. So eine Kerze konnte bis zu 2,5 Meter hoch sein und wurde bei der Wallfahrt vom Zunftmeister vorangetragen. In den bekanntesten Wallfahrtsorten kamen so viele große Votivkerzen zusammen, dass dafür eigene Kerzenkammern geschaffen wurden. Heute noch zu sehen in der Wachskammer im Kloster Andechs (über 220 Kerzen, die größte mit 2,4 Metern), Niederscheyern, Altötting, Bettbrunn, Vierzehnheiligen. So waren in Orten mit Wallfahrtskirchen auch fast immer Wachszieher zu finden. Auch finden wir immer Klöster bei Wallfahrtsorten. In diesen gab es auch immer Klosterfrauen die sehr künstlerisch begabt waren und sich den Wachsarbeiten mit großem Geschick widmeten und damit zum Einkommen und Erhalt der klösterlichen Einrichtungen beitrugen.

Immer mehr kamen vom 15. bis Anfang des 19. Jahrhunderts auch Wachsobjekte und -figuren als Votivgaben in Verwendung. Ungeformtes Wachs wurde schon in der Antike als Weihegabe oder aufgrund eines „Verlöbnisses – Votation“ dargebracht. In Aufzeichnungen zahlreicher Mirakelbücher findet sich die Stelle „…verlobte sich mit ….Pfund Wachs“. In diesen Zeiten gab es noch keine Ärzte, Mediziner oder Krankenhäuser und so waren Heiler, Bader und Kräuterkundige an deren Stelle tätig. Die Gläubigen brachten bei Krankheit oder in Notsituationen Wachsopfer mit der Bitte an einen Heiligen, vor allem an die Mutter Gottes, um Heilung des jeweiligen Körperteiles oder Leidens oder zum Dank nach erfolgter Heilung. So wurden zunehmend Wachsfiguren in Form von- Händen, Armen, Füssen, Herzen, Augen, Gebissen oder ganzen Menschenfiguren je nach Krankheit geopfert. Ebenso gab es ab dem 16. Jhdt. Votivfiguren in Form von Tieren, um Krankheiten aus Stall und Hof fern zu halten. Auch wurden kl. Häuser gegossen, um vor Feuer und Brandkatastrophen zu schützen. In Fürstenhäusern und bei reicheren Bürgern wurden Votivfiguren in Lebensgröße gegossen und von Künstlern der Kopf des Votanten nach dem Vorbild in feinster Bossierarbeit gefertigt.

Diese Wachsvotive und Figuren wurden in früher Zeit in Tonformen gegossen. Ab dem 16. Jhdt. wurden diese von Holzformen abgelöst. Solche Holzmodel wurden von Formenstechern angefertigt. Neben Reliefformen verwendet man in der Wachszieherei häufig Doppelformen, bei welchen mittels Holzzapfen die Vorder und Rückseite zusammengesteckt wurde und so eine Hohlform gegossen wurde. Die meisten Holzformen wurden aus feinfaserigen, harten Apfel-, Zwetschgen-, Birnen- oder Buchsbaumhölzern gearbeitet. Der Formenstecher arbeitete mit Hohleisen, Schnitzmesser und anderem Stechwerkzeug. Dabei wurde das Bild oder die Figur negativ und leicht konisch ins Holz gestochen, um dann einen positiven Abguss zu erhalten. Formstecher benötigten daher ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen. Zur Hilfestellung diente häufig ein weicher Lebzelterteig, der immer wieder in die zu schnitzende Form gedrückt wurde um den Fortgang der Arbeit im Positiv sehen zu können. Diese Formstecher gingen mit ihren Werkzeugen auch auf Wanderschaft und besuchten die Wachszieher um deren Aufträge vor Ort abzuarbeiten.


War eine Holzform dann fertig wurde sie vor dem Ausgießen in kaltes Wasser gelegt, um sich mit Wasser vollzusaugen, damit die Wachsfigur sich besser aus dem Model lösen konnte. Später gab es diverse Flüssigkeiten, die denselben Effekt erzielten. Die beiden Hohlformen wurden zusammengesteckt und mit Holzzwingen oder Lederriemen aneinander gepasst. Nun gießt man in die Öffnung an der Unterseite das Wachs in die auf dem Kopf stehende Form ein und füllt sie bis zum Rand. Das Wachs darf nicht zu kalt sein, damit auch die feinsten Konturen der Holzform ausgefüllt und beim Abguss sichtbar werden. Nach kurzer Zeit muss der erste Einguss aus der Form geschüttet werden. Das wohltemperierte Wachs hat nun die Innenseite des Models mit einer dünnen Wachsschicht überzogen. Alle feinen Konturen der ins Negativ geschnitzten Form müssen bei diesem ersten und entscheidenden Guss bereits ausgebildet sein. Der ganze Vorgang wird je nach Größe der Figur zwei bis sechsmal mit immer kälterem Wachs wiederholt. Nach dem Lösen der Lederriemen wird die Form schließlich mit dem Messer etwas gelockert und lässt die Figur erkalten. Sodann wird die Figur mit größter Vorsicht aus der Holzform gelöst. Nach dem Gießen muss man die Abgüsse in Feinstarbeit von den Wachsrändern befreien. Im Anschluss werden die Figuren patiniert oder bemalt.

Diese wächsernen Votivgaben waren neben Bildern in vielen Größen und teils mit kostbaren Rahmen versehen über 3-4 Jahrhunderte in großen Mengen in Wallfahrtskirchen, Klöstern und Kapellen zu finden. Am weitesten verbreitet war diese Praxis in Bayern und kam von dort auch nach West-Österreich. Mit dem Aufkommen der Krankenhäuser und Ärzte, aber auch dem Nachlassen der Frömmigkeit verloren diese Votivgaben an Bedeutung und gingen auch verloren oder fanden ihren Platz in Museen. Von der Bedeutung dieser Gaben kann noch in den sogenannten Mirakelbüchern nachgelesen werden. Dabei kann man erahnen was für eine Bedeutung diese Votivgaben damals für die Bevölkerung hatten. Aber auch im Erwerbsleben der Wachszieher und beim Spendenaufkommen in den Kirchen und Klöstern zeigt sich diese Wertigkeit.

Im Montafon waren dabei die Pfarrkirche „Maria Geburt“ in Tschagguns, erstmals erwähnt um 1329 und das „Venser Bild“ gestiftet um 1613 von Frau Anna Planggin die bedeutendsten Wallfahrtsorte. Daneben gab es noch die Wallfahrtskapellen „Hüttnertobel im Aussergant“, „Unterschrofen“ ebenfalls in St. Gallenkirch, „Fidelis“ bei Gargellen sowie „Maria Schnee“ in Gaschurn, die alle aus einem Versprechen zum Dank gespendet und erbaut wurden. Auch in diesen wurden von dankbaren Menschen immer wieder Kerzenspenden dargebracht.

Wachsverarbeitende Betriebe im Montafon gab es meines Wissens drei. Da war in Schruns Herr Aurel Steu, der aber vorwiegend Bienenwachs verarbeitete, vorrangig zu Bienenwaben für die Imker. Später fortgeführt von Herrn Karl Steu in der Ausserlitzstr. bis ungefähr 1980, wozu er Schmelzkessel und eine Wabenwalzmaschiene in Verwendung hatte. Wächserne Votivgaben und Kerzen wurden im Montafon vermutlich von der Wachszieherei Drenkwälder in Gantschier (ehemaliges Gasthaus Kaltenbrunnen) und später über drei Generationen (1880 bis 2010) von der Wachszieherei Hueber in Schruns erzeugt und vertrieben. 

Martin HueberMartin Hueber
Martin Hueber hat seine Lehr- und Gesellenzeit als Wachszieher in Schruns-Kaltenbrunnen bei Drenkwälder absolviert. Anschließend begründete er in Gantschier, heute Rätikonstraße, im Haus seines Bruders Christian eine Wachszieherei. Die erzeugten Produkte waren vorrangig Kirchenkerzen, Haushaltskerzen und Bodenwachse (siehe die angehängte Kopie eines Inserates).

Sein Sohn Jakob hat in der ältesten Schweizer Wachswarenfabrik J. Hongler in Altstätten im Rheintal von 1913 bis 1915 eine Lehre als Wachszieher erfolgreich absolviert. Anschließend hat er als Gehilfe / Geselle im Betrieb seines Vaters Martin gearbeitet. Im Jahre 1921 hat er dann den Betrieb übernommen. Er führte den Betrieb als Einzelunternehmen und hatte gelegentlich Hilfen in der Hochsaison, vorrangig waren seine Schwestern (auch während der beiden Weltkriege, in denen er in der Valsugana/Südtirol und in Polen im Einsatz war) und später eine Gattin im Betrieb als Hilfe beschäftigt. Seine Kunden waren vorrangig die Kirchen und Klöster in Vorarlberg. In der näheren Umgebung kauften die Bewohner ihre Haushaltskerzen, Christbaumkerzen, Sterbe- und Versehkerzen sowie die fein verzierten Erstkommunionkerzen. Die wenigen Lebensmittelgeschäfte benötigten sporadisch auch Haushaltskerzen für ihren Hausratsbedarf. In der Gastronomie wurde noch sehr viel Bodenwachs gebraucht, da vorrangig Holz- und Parkettböden verlegt waren und diese öfters mit Bodenwachs eingelassen und geblockt wurden. Gehandelt wurde auch Weihrauch und Rauchfasskohle für die Pfarrämter.

Karl HUeberKarl Hueber

Im Jahr 1969 begann dann ich meine Lehre im elterlichen Betrieb und übernahm diesen im Jahre 1973. Zu Beginn hatte ich auch sehr viel Arbeit mit Kirchenkerzen (in Kirchen waren da noch täglich Messen und sonntags 3-4 Messen). Da war der Verbrauch an Kerzen noch sehr groß. Im Laufe der Jahre hat sich das sehr geändert. Immer weniger Priester, Frühmesser und damit auch besetzte Pfarrämter bedeuten nur noch einmal die Woche eine Messe und somit viel weniger Kerzenverbrauch. Ich habe dann einen Detailverkauf etabliert und verstärkt auf Zierkerzen, Geschenkkerzen für diverse private Anlässe, Einrichtungsdeco-Kerzen, Grablichte usw. gesetzt. Ein starkes Produkt waren unsere Honigwachskerzen, die auch häufig in den Wiederverkauf und Export geliefert wurden. Ein sehr starkes Produkt war all die Jahre auch der Gastro- und Hotelkerzenbedarf. So waren wir in dieser Branche sehr stark vertreten durch unsere Flexibilität in Sachen Form und Farbe (passend zu Servietten und Tischtüchern), da wir die Wünsche der Kundschaft genau und prompt erfüllen konnten. Auch in den Gärtnereien und Blumengeschäften konnten wir damit punkten. Im Laufe der Jahre habe ich den Betrieb vergrößert und mit Kerzenzug-, Fräs- und Gießmaschinen ausgestattet. Ebenso mit Schmelzkesseln und Tauchapparaten. So habe ich mit meinen drei Mitarbeiterinnen die Jahresproduktion an Kerzen auf ca.30 bis 35 Tonnen erhöht. Dazu noch einiges an zugekauften Halbfertig- und Fertigprodukten. 

Da meine Kinder beruflich andere Interessen verfolgten, habe ich nach 40 Jahren Selbständigkeit mit Erreichen des Pensionsalters 61jährig den Betrieb an einen Interessenten verkauft. Heute gibt es in Vorarlberg keine Wachszieherei mehr. Nur noch einige Privatleute, die als Hobby Kerzen gießen für Weihnachtsmärkte usw.


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Autor: Karl Hueber, in: Jahrbuch 2020 Montafoner Museen, S. 143-146.

20.11.2022