Kriegsende und Befreiung 1945

Granaten aus dem Vermuntstausee

© Montafoner Museen

Einige kurze Einblicke in das Montafon in den ersten Monaten des Jahres 1945 bis zur Befreiung vom NS-Regime. 

Im Jahr 1945 wurde die militärische Niederlage Deutschlands immer offensichtlicher. Trotzdem wurden noch viele Jugendliche zur Wehrmacht oder zu militärischen Hilfsdiensten eingezogen. Als Vorbereitung für den Kriegseinsatz mussten viele 14-, 15- und 16-Jährige sogenannte „Wehrertüchtigunglager“ durchlaufen. Derartige Lager befanden sich im Montafon im Bereich Gawatsch (Bartholomäberg) sowie unterhalb des Maisäß Rüti (St. Gallenkirch) im vormaligen Zwangsarbeiterlager „Suggadin“.
Gebhard Marlin aus St. Gallenkirch erinnerte sich an den März 1945, den er dort verbrachte:
"Am Morgen haben wir auf müssen, um halb sieben, sieben, dann hat man Fahnenhissung gehabt. Da hat man Habtachtstehen müssen, womöglich noch ein Lied singen und danach ist es halt losgegangen: Ausbildung. Da hat man von Handgranaten, von Minen gelehrt, vom Gewehr, Kleinkalibergewehr haben wir gehabt, Karabiner haben wir auch geschossen.“ 

Wehrertüchtigungslager Suggadin im März 1945

In den letzten Wochen und Monaten des NS-Regimes waren immer mehr Flüchtlinge ins Montafon gekommen. Viele wurden im ehemaligen Lager des „Reichsarbeitsdienstes“ (RAD) in Schruns - am Foto - untergebracht, die meisten anderen wurden auf Privathäuser und Fremdenverkehrsbetriebe verteilt.
Es hielten sich auch hunderte Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen der Kinderlandverschickung (KLV) in die Tourismusregionen des Reiches evakuiert worden waren, im Montafon auf. Derartige KLV-Lager bestanden etwa in Gargellen, Gaschurn und St. Gallenkirch.
Unter den Flüchtlingen befanden sich auch zahlreiche Prominente: So etwa die Familie Cranach, die im März 1945 nach Schruns kam. In St. Gallenkirch in den Gasthöfen Rössle und Adler waren Angehörige der Familien Richthofen und Schönborn einquartiert.

 RAD-Lager Schruns

Ein großer Teil der männlichen Bevölkerung des Montafons war im Frühjahr 1945 nicht im Tal, sondern kämpfte über halb Europa verstreut einen längst verlorenen Kampf. Bis zuletzt erhielten die Angehörigen Briefe wie jenen anbei, der vom sinnlosen Tod Engelbert Fitschs, der nicht einmal mehr begraben werden konnte, berichtet. Für das Silbertal hat Hans Netzer die Geschichten der Kriegsteinehmer in einer Publikation exemplarisch aufgearbeitet: https://stand-montafon.at/…/mon…/montafoner-schriftenreihe-8 

Dokument

Immer mehr Montafoner Soldaten, die nach einer Verwundung auf Rekonvaleszenz nach Hause kamen oder Urlaub bewilligt erhalten hatten, rückten ab dem letzten Viertel des Jahres 1944 nicht wieder zu ihren Einheiten ein, sondern hielten sich im näheren Umfeld ihrer Familien versteckt. In einem Bericht aus Bartholomäberg wurde dieser Umstand folgendermaßen geschildert:
„Doch verschwanden ab 1944 auch von hier immer mehr Soldaten aus der deutschen Wehrmacht, um nicht länger gegen unsere Befreier kämpfen zu müssen; sie hielten sich bis zum geeigneten Augenblick in den Bergen versteckt und setzten der Freiheit zuliebe ihren Kopf und ihre Familien aufs Spiel.“
Auf dem Foto: Unterschriften der Mitglieder der Widerstandsgruppe St. Gallenkirch.

Unterschruft der Mitglieder des Wiederstandposten

Am Freitag, 4. Mai 1945, gelangten erste französische Truppen bis Schruns. Der Gendarmerieposten St. Anton berichtete dazu:
„Am 4.5.1945, gegen 17.00 Uhr, kurz vor dem Einmarsch der Franzosen, fuhr ein Kraftradfahrer mit einer weissen Fahne von Bludenz kommend in das Tal Montafon und ersuchte durch Zurufen die Einwohner auf, die weissen Fahnen zu hissen. In Kürzester Zeit waren die Häuser der Strasse entlang mit weissen Fahnen und Tüchern beflaggt. Bei der Durchfahrt der Franzosen stand ein Teil der Bevölkerung auf den Strassen, um die Durchfahrt anzusehen. Es kam dabei zu keinerlei Ausschreitungen.“
Der Zeitzeuge Hermann Sander erinnerte sich:
„Sie […] zogen mit Panzern an der Spitze gegen 18.30 Uhr in das mit Rot-Weiß-Rot und Rotweiß fahnengeschmückte Schruns ein. Bürgermeister Erwin Heinzle, Herbert Mühlbacher und ich empfingen die Franzosen in deutschen Uniformen, aber mit rot-weiß-roten Armbinden auf dem Kirchplatz.“
Auf dem Foto ist die Familie von Adolf Schwarzhans aus Silbertal am 4.5. vor ihrem Haus zu sehen. Im Hintergrund links oben hängt eine weiße Fahne aus dem Fenster.

Familie Adolf Schwarzhans

 In den letzten Kriegstagen kamen mit den zurückweichenden deutschen Truppen auch Angehörige der „Legion Freies Indien“, einer militärischen Einheit, die aus indischen Studenten in Deutschland und ehemaligen indischen Kriegsgefangenen aufgestellt worden war und der Waffen-SS zugehörte, ins Montafon. Die meisten von ihnen versuchten in die Schweiz zu gelangen. Der Zeitzeuge Hermann Lorünser aus Vandans erinnerte sich:
„Ich weiß schon, wie / wie Inder alle möglichen deutschfreundlichen Inder sind dann geflüchtet gekommen, von Bludenz herein. […] Und dann sind auch / ich weiß einmal sind meine Geschwister und die Mama furchtbar erschrocken, wo / wir haben ziemlich niedrig herunten das Fenster / auf einmal schauen da drei – vier solche / solche Inder herein, zum Fenster, oder. Und die haben dann gefragt um ein Quartier und um Unterschlupf. Denen hat man dann Unterschlupf gegeben, in einem Nebenstall. Und dort sind sie aber dann ziemlich bald verhaftet worden natürlich.“
Im Prättigau wurde am 5. Mai 1945 berichtet, dass am Vortag über das St. Antönier Joch zwei Inder „eingereist“ seien: 

Dokument

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs verhinderten mutige Montafoner unter der Leitung von Romed Boss die Sprengung der Kraftwerksanlagen der Illwerke in Partenen.
Die Angaben zum Widerstand in Partenen bzw. zur Verhinderung der Zerstörung der Illwerke-Anlagen beruhen auf den Aufzeichnungen von Romed Boss: https://stand-montafon.at/…/neuig…/rettung-der-illwerke-1945 

Bild Montafon

Maßgeblichen Anteil am relativ glimpflichen Kriegsende in St. Gallenkirch hatte der spätere Bürgermeister Martin Salzgeber, der schon während des NS-Regimes Flüchtlinge, Deserteure und Widerstandskämpfer unterstützte:
"Dank der Person des Bürgermeisters Martin Salzgeber, der als Frankreichgänger perfekt französisch und baskisch sprach, konnten viele Übergriffe und ungute Dinge verhindert werden." (Bericht Pater Johannes Vogt, 1987)
"Ein [...] Kristallisationspunkt des Widerstandes war Martin Salzgeber, welcher schon sehr früh Verfolgten in seinem Hause Obdach und BRot bot. Auch bei ihm wurde gemeinsam mit einem unangemeldeten Apparat schwarzgehört [Radio]. In seinem Hause am Waldrand fanden des öfteren geheime Versammlungen statt. Er beteiligte sich mit grossem Erfolg an der Sabotage der Ablieferungen, unterstützte die Fahnenflüchtigen und gewährte ihnen Unterkunft." (Bericht Widerstandsbewegung, Mai 1945) 

Martin Salzgeber 1926

Heute vor 75 Jahren ging die Herrschaft des NS-Regimes mit der Kapitulation des Drittenr Reichs zu Ende.
Der Theologe Emil Fuchs, der sich führend im Widerstand engagierte, hatte 1943 mit seinem Enkel Klaus Fuchs-Kittowski Berlin verlassen und in Gortipohl eine Unterkunft (siehe Bild) gefunden. In seiner Autobiographie schildert er das Kriegsende im Montafon:
„Es kam der Monat Mai 1945. [...] Wieder einmal ging ich in diesen Tagen nach St. Gallenkirch ins Dorf, um Einkäufe zu machen. Da sah ich vor der Kirche festlich gekleidete Männer und weißgekleidete Jungfrauen mit Blumensträußen versammelt. Sie erwarteten den Einmarsch der französischen Truppen; und siehe, da kamen sie heran. Rasch ging ich meinen Weg nach Gortipohl hinaus. Das wollte ich nun gerade nicht miterleben, wie man hier feierte. – Droben aber hingen schon an den Häusern der großen Bauern die österreichischen Fahnen vom Dach bis auf die Straße – wie kurz vorher die Hakenkreuzfahnen.
Der alte, ehrwürdige Pfarrer des Ortes sagte mir in diesen Tagen: ‚Als ich sie einst warnte, Hitler zu wählen, wollten sie mich fast totschlagen. Nun sind sie wieder begeistert! Was soll man zu diesen Leuten sagen?‘ – Als ich mit Klaus am anderen Morgen von unserm Berg herunterging und er die Fahnen sah, blickte er mich an und sagte: ‚Gelt, Opa, so etwas machen wir nicht?‘ – ‚Nein‘, sagte ich. ‚Wir sind immer auf demselben Weg!‘“ 

Alpenjugenheim in Gortipohl, in dem Emil Fuchs Zuflucht fand

Mit dem Ende der NS-Zeit begann die sogenannte "Besatzungszeit". Im Montafon quartierten sich französische Truppen ein. Grundsätzlich waren die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Soldaten laut den Aussagen der meisten Zeitzeugen gut:
"Schon in den Sommermonaten veranstalteten die 'Besetzer' Tanzabende in den Speisebaracken des großen Rodund-Lagers. Aus allen Gemeinden der Umgebung kamen die Mädchen und jungen Frauen zuerst zögernd, dann jedoch in Scharen zu diesen Unterhaltungen. Welche Frau wollte es sich entgehen lassen, mit diesen 'Charmeuren' zu tanzen, und anschließend mit dem fast schneeweißen, französischen Brot und einigen Tafeln Schokolade beschenkt zu werden."

Dieser Umstand führte aber auch zu Konflikten:
"Mädchen, die sich mit den Franzosen einließen, wurden nachts von einigen Heimkehrern die Köpfe kahl geschoren, was Pfarrer Dr. Hausteiner veranlaßte die Frage in der Kirche zu stellen, wieviele Heimkehrer kahl geschoren wären, wenn ihre Untreue in fremden Ländern sich an ihren Köpfen zeigen würde."

Soldaten

07.05.2020