Vergleich zwischen Alpe und Maisäß Netza 1729 - Originalurkunde an das Montafon Archiv übergeben

Urkunde Netza

© Montafoner Museen

Im März 2023 wurde dem Montafon Archiv von Leo Mangard aus Gortipohl eine Urkunde zu einem Vergleich zwischen Alpe und Maisäß Netza aus dem Jahr 1729 übergeben. Diese war wohl über Jahrhunderte innerhalb der Alp- bzw. Maisäßgenossenschaft weitergegeben worden. Nunmehr konnte die wertvolle Pergament-Urkunde mit Siegel aus konservatorischen Gründen ins Montafon Archiv aufgenommen werden. Außerdem ist dort eine öffentliche Zugänglichkeit gewährleistet.

Das Dokument verweist auf die große Bedeutung der Berglandwirtschaft für die Innermontafoner Bevölkerung. Auch für scheinbar geringfügige Streitigkeiten um Weidegrenzen wurden aufwändige Gerichtsverhandlungen in Kauf genommen und kostspielige rechtskundige Beistände zu Rate gezogen. 

Urkunde Netza

Inhalt

1729 kam es „wegen Besäzung Alpp und Mayensäß Zihl und Marken, Alpp und Waid Troyen, auch Schneeflucht und Besuechung anderer Waid zum Fall in der Alpp Mangel erscheinen sollte“ zu Streitigkeiten zwischen den Inhabern der Alpe Netza und den Besitzern des Maisäß Netza, obwohl es sich dabei teilweise um ein- und dieselben Personen handelte. Mehrfach wird in diesem Dokument auf einen Alpbrief aus dem Jahr 1514, der jedoch nicht überliefert ist, verwiesen. Bereits damals war es demnach zwischen Alp- und Maisäßgenossenschaft zu Uneinigkeiten über ähnliche Streitpunkte gekommen. 

Im September 1729 nahm der Bludenzer Untervogt Franz Anthony Zürcher einen Lokalaugenschein vor und vermittelte zwischen den folgenden Abgeordneten der beiden Streitparteien: Die Alpe wurde von „Christian Caspar waibl, Thoma Lang, Hanns Burger der jung“ und dem Rechtsbeistand „Franz Joseph Gilmen kais. Notar und Zoller von Bludenz“ vertreten. Die Abgeordneten des Maisäß waren der Geschworene „Hanns Salner, Joseph Graß, Hanns Jakob Sudrell, Hans Jakob Saler, Josef Netzer Peters Sohn, Hans Lerch, Christian Stocker“ und der Altvorgesetzte Johannes Pitschnauen aus St. Anton als rechtskundiger Berater. Im Zuge des Lokalaugenscheins begab sich die Kommission bis auf den Roßberg zum sogenannten „Schlößle Schrofen“ und weiter zum „Scherm Stein Spitz“, um die Angelegenheit klären zu können. Der Urteilsspruch des Untervogtes wurde am folgenden Tag in Leo Tschofens „Würths Behausung“ in St. Gallenkirch gefällt und enthält die folgenden zwölf Punkte: 

 

Erstens sollte „es der Zihl und Marken halben, wo Alpp und Maysäß rüngs umb an frembde Alpen, Maysäß oder Gerechtigkeiten stossen bey deme anno 1412 [sic!] und 1514 aufgerichten Kauf- und respective Alpp-Brieffen gänzlich verbleiben“. 

Zweitens wurden für den Maisäß 106 Kuhweiderechte, für die „Alp aber wegen des ausgetauschten Mahdes am Stafel um 4 Weiden mehr [110]“ festgelegt. Jedes Jahr sollten die Maisäßgemeinder darüber abstimmen, wann der Maisäß besetzt werden sollte und die Alpinhaber darüber, wann in die Alpe gefahren werden sollte. Die Art der Tiere und Umrechnung ihrer Zahl auf die Weiderechte, sollte nach den Entscheidungen des Alpbriefes aus dem Jahr 1514 geregelt werden. 

Im dritten Punkt wurden der sonnenseitige Murbruch am Roßberg unter dem Schlößle-Schrofen und der Schrofen selbst als rechter Markstein festgesetzt. Die Weiden weiter talauswärts über den Mähdern sollten zum Maisäß gehören, während die Weiden taleinwärts von der Alpe genutzt werden konnten. Außerdem sollten bei den Weiden des Maisäß Marksteine gesetzt werden. Oberhalb dieser Marken im Bereich bis zum Grat gegen das Silbertal wurde den Alpgenossen erlaubt im Sommer ihr Vieh zu weiden. 

Viertens sollten die Hirten der Alpe „den hohen Troyen“, also einen höher gelegenen Weg, zu den Weiden am Roßberg benutzen und den Weg zwischen Murgraben und über den Mähdern vermeiden. 

Im fünften Paragraphen wurde den Alpbesitzern für den Fall, dass auf der Alpe zu wenig Futter vorhanden sein sollte, gestattet, “unter die eigenen Maisäßer bis zum untersten Ställe [zu] fahren“ und ihr Vieh dort weiden zu lassen. 

Sechstens wurde festgelegt, dass die Alpinhaber bei Schneefall ihr Vieh durch den Maisäß bis zum untersten Stall zur Weide treiben durften. 

Im siebten Punkte wurde entschieden, dass die Mähder außerhalb der Alpe – die sogenannten „Glattmähder“[1] – bis drei Tage vor dem St. Zenotag[2] gemäht werden mussten. Ab diesem Tag durfte das Vieh zur Weide auf diese Parzellen getrieben werden. Ein wichtiger Effekt dieser Weidenutzung auf den Bergmähdern war die Düngung dieser Flächen durch das Vieh. Es fand jedoch zusätzlich eine manuelle Düngung der Mähder statt, da sich die Alpgebäude direkt oberhalb der Mähder befanden und die Ausbringung des Düngers über einen Wasserkanal dadurch bedeutend erleichtert wurde. 

Der achte Punkt regelte den Auftrieb der Geißen der Maisäßbesitzer auf die „Gräth und Jöcher“. Die Geißen sollten, ohne „Stafel“, Mähder und Kuhweiden zu schädigen, in diese Bereiche, in denen sich keine Kuhweiden mehr befanden, getrieben werden. Für den Fall, dass es keine andere Möglichkeit gäbe, wurde ihnen erlaubt Kuhweiden „stracks“ zu durchqueren. 

Neuntens wurde der Überbesatz von Alpe und Maisäß bei Strafe verboten. Für jede Übertretung dieses Verbots sollten für das erste überzählige Stück Vieh 45 Kreuzer, für jedes weitere Tier ein Gulden entrichtet werden. 

Der zehnte Punkt erlaubte die einmalige Benutzung des Alpweges oberhalb der Glattmähder durch den Wang bei der ersten Alpfahrt. Bis zum Herbst sollte dann jedoch der Weg auf der südlichen Tal- beziehungsweise Schattenseite benutzt werden. 

Elftens sollten die Kosten für den Untervogt sowie den Wirt aufgeteilt unter den Inhabern von Alpe und Maisäß entsprechend ihrer Weiderechte aufgeteilt werden. 

Im abschließenden zwölften Punkt wurde nochmalig auf den Alpbrief aus dem Jahr 1514 verwiesen, der in allen übrigen Angelegenheiten gültig bleiben solle. 

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[1] Im Gegensatz zu den Angaben im Heimatbuch St. Gallenkirch handelt es sich dabei nicht um „hochgelegene steile Mäder“, sondern um Flächen im flachsten und am tiefsten gelegenen Bereich der Alpe Netza. Vgl. Zurkirchen, Heimatbuch, S. 143.

[2] 31. August. Gedenktag des Zeno von Verona ist der 2. September.


Urkunde Netza Siegel

 

Transkription:

Verglich entzwischen denen gemeinder der Alp Netzen gegen denen gemeinder des Mayensäß Netzen beeden theillen auf St. Gallenkirchen dd. 2ten 7bris anno 1729.

Demnach sich entzwischen denen innhaberen der Alpp Nezen aines, so dann denen besüzer des Maysäß daselbst andern theills wegen besäzung Alpp und Mayensäß, zihl und marckhen, alpp und waid, troyen, auch schnee-flucht und besuechung anderer waid, zum fall in der Alpp mangel erscheinen sollte, spene und streittigkheiten eraignet, derentwillen dann, und weillen die sache vermög des alpp brieffs de anno 1514 von einem jeweilligen herren undervogt und richter der Statt und Herrschaft Bludenz entscheiden werde solle, so haben sich beede thaill dahin vereinbahret, und den dermahligen herren untervogten Franz Anthoni Zürcher ersuecht und gebetten sich auf die strittige orth in Alpp und Mayensäß zu verfüegen den augeschein in präsentia partium einzunehmmen, und sye gleichwohlen nach recht und billigkeit zu entschaiden, und zumahlen nuhn diser abreed zu folge auf den donnerstag den 1ten 7bris der aigentliche tag zu vornehmmung eines und des anderen bestümbt worden.

Als hat sich sowohl vorermelter herr undervogt, als auch beedseithige Partheyen, und zwar von seithen der Alpp vor sich und ihre mit consorten der Christian Caspar waibl, Thoma Lang und Hanns Burger der jung in assistentia herrn Franz Joseph Gilmen kays. notary und zollern zu Bludenz, von seithen des Maysäß geschworner Hanns Salner, Joseph Grass, Hanns Jakob Sudrell, Hans Jakob Saler, Joseph Netzer Peters sohn, Hans Lerch, Christian Stocker und interessierte in beystandtschaft herrn Johannes Pitschnauen alten Vorgesezten von St. Anthöni auf den augenschein verfüegt, und so gar oben auf den Roßberg zu dem Schlößle Schrofen und Scherm Stein Spiz begeben, auch anderwerths alles so vill vonnöthen besichtiget, und nachdeme dises alles geschehen, haben sich die partheyen des anderen tags als den 2ten 7bris in des Leo Tschoffens würths behausung in St. Gallenkürchen folgender gestalten verglichen, daß zum

ersten es der zihl und marckhen halben, wo Alpp und Maysäß rüngs umb an frembde Alpen, Maysäße oder gerechtigkeiten stossen, bey deme in anno 1412 und 1514 aufgerichten kauf- und respective alpp-brieffen gänzlich verbleiben solle;

andertens was anbelangt die anzahl der kue-waiden, so ist der Maysäß lauth alten brieffs auf 106, die Alpp aber wegen des ausgetauschten mädlins am stafel umb 4 waiden höher und also umb 110 kue-waiden bestümbt, und solle man alle jahr mit mehrerer handt räthig werden, nembl. die Maisäß gemeinder, wann man in das Maysäß fahren, der Alpp inhabern aber wann man zur Alpp fahren solle und wolle, und was das mehrer schliest, deme sollen die wenigere schuldig sein nach zugeben; belangendt aber wie man die waiden selbst besezen wolle, oder wie vill und was vorley gattung vieh auf ein kue waid geraith werden solle, dises alles hat bey oberwentem alpp-brieff de anno 1514 sein gänzlich verbleiben, ohngeacht dermahlen nit ein jeder so vill waiden in der Alpp hat, als er im Maysäß besüzt et vice versa; was dann

drittens den Roßberg anbelanget, so solle der Rüfe-Bruch unter dem Schlößle Schrofen auf der sonnen seithen, und ermelter Schlößle Schrofen selbsten die rechte marckhstein sein und heißen, dergestalten was ausser dem bemelten Schrofen und Rüffebruch ob denen Mäder hinauß ligt, solches solle zu dem Maysäß gehören, das innere aber zur Alpp geraith und von mite des größten Schlößle Schrofen alle gerade hinauß, so weith des Maysäß gerechtigkeit gehet, marckhstein gesezt und ordentlich beschriben werden sollen. Was dann ob disen marckhsteinen bis in die höchste gräth hinauf ligt, das sollen die Alppgenossen sommerszeit mit ihrer haab, so oft ihnen beliebig, besuechen und ezen mögen; über die marckhstein herunder aber weder waiden noch ezen. Dahingegen auch die Maysäß innhabere sye Alppgenossen in keinerley weis noch weeg weder ob disen marckhsteinen, noch an dem stafel und schatten halben über die marckhen im geringsten nit überfahren, oder ezen und waiden lassen sollen.

Viertens solle sich die Alpp desjenigen troyen under dem rüffe graben ob den mäder hinaus auf den Roßberg entmüessigen und künfftig innerhalb durch den hohen troyen oder selbiger gegendt hinauf und hinaus und wider zu rugg fahren.

Fünfftens wann die Alpp mangel an waid hette, mögen dieselbe heraus under die aigene Mayensäßer und bis zum und understen ställe fahren, und alda ezen, von der Alpp aber bis under die ersten wissen nit waiden lassen, sonder sollen so vill möglich auf dem rechten Alp-weeg oder troyen bleiben.

Sechstens sollen die Alp genossen mit ihrem vieh·in eraignender schnee-flucht, und da die Alp solcher gestalten ausgeschneyt, daß sye nit mehrbleiben kunten, vor dem schnee durch das Maysäß heraus bis zum understen Ställe (jedoch den aignen wysen und mäder ohne Schaden) waiden und fahren dürffen und wider alsobald solcher gestalten dem schnee nach hinein ezen und treiben und darbey kein gefärde noch vortl brauchen.

Sibentes sollen die glathen mäder in der Alp 3 Tag vor oder nach St. Zeno tag, so da ist der andre 7bris, gehewet sein, als dann die Alpp genossen solche wie ander Alp-recht ezen mögen, auch steeg und weeg zu selber zeit lauth alten brieffs de anno 1514 dardurch zubrauchen befuegt sein.

Achtens sollen die Maysäß innhaber mit ihren gaißen oben hinein auf die gräth und jöcher fahren dürffen, wo keine kue waiden sindt, jedoch dem stafel, den mäder und kue-waiden in der Alp ohne allen schaden, doch im fall etwann ein kue-waid zwischen einem grath ligt und die notturfft erforderte auf ander gräth zu kommen, sollen sye mit wenigisten schaden strackhs durchfahren mögen.

Neuntens solle der ybersez bey straffen verbotten sein, also der ybersezt solle er für die erste waid 45 x. die andere aber 1 fl bezahlen. Betreffende

zechendes die Alp-troyen, so mögen die Alp genossen bey der ersten alpfahrt ob denen Mäder durch den Wang hinein fahren in schneefluchten aber bis sye Recht yber die mäder haben oder gehewet seindt im troyen auf der schatten seithen aus und ein brauchen

Eilftens was die kösten anbelanget, sollen die jenige, so yber mich den undervogt und würts zehrung bey vorgenohmmenen augenschein aufgegangen solcher gestalten in die helffte bezahlt werden, daß die, welche in beeden theyllen waiden gehabt, ihre portion nuhn nach den jenig waiden abführen sollen, bey welchem theill sye gestanden, unnd weillen dem vernehmmen nach einige Alp- und Mayensäß genossen sich für rübige ausgeben, in dem anno 1514 errichteten brieff aber clar enthalten, daß wann sich streitt oder spenn wegen der Alp oder Mayensäß herfür thetten, so solle ein jeweilliger undervogt dieselbe auf aller dero kösten entscheiden, als sollen dieselbe ebenfalls auf der seithen wann sye in beeden theillen gemeinder wären, allwo sye die meisten waiden haben, obige kösten sambt denen nachzügen wie ebenfahls ein jeder theill dieselbe auf vor vermerckhte weys zu leiden, unnd sye auf die waiden auszutheillen hat, abführen unnd bezahlen.

Zwölfftens und letstlichen solle es im dem ybrigen alliglich bey dem offt mentionierten unnd anno 1514 aufgerichten Alpbrieff verbleiben, mit dem zusaz, daß ein jeweilliger undervogt jederzeit einen ohnepartheyischen actuarium beyziechen khönne; zue dessen becrefftigung ist disem offenen brieffe dem herrn undervogt (jedoch ihme und seinen erben ohne schaden) ein angebohrnes petschafft angehengt, gefertiget und extradiert worden. So beschechen den 2ten Septembris im sibenzehenhundert und ein und zwainzigisten jahre.

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Michael Kasper, Jahrbuch 2023 der Montafoner Museen

15.02.2024